Kaspar Häuser Meer


KASPAR HÄUSER MEER von Felicia Zeller 
Schauspiel Kiel, Studio
BARBARA Ellen Dorn SILVIA Claudia Friebel ANIKA Pina Bergemann
REGIE Kristin Trosits AUSSTATTUNG Nina Sievers DRAMATURGIE Mona Rieken
FOTOS Olaf Stuck & Sven Wied

INHALT
Im Jugendamt, dem Austragungsort des alltäglichen Wahnsinns, stehen die drei Sozialarbeiterinnen Anika, Barbara und Silvia am Rande des Nervenzusammenbruchs. Einen hat es schon erwischt, Kollege Björn ist ausgebrannt, auf unbestimmte Zeit: Björn-Out. Er hinterlässt 104 Fälle, die die drei jetzt zu ihrer ohnehin schon routinierten Überforderung zusätzlich bearbeiten müssen. Zwischen Statistiken und Jahresabschlussberichten sitzt ihnen die ständige Angst vor Fehlentscheidungen im Nacken. Langsam drohen sie, in der Bürokratie des Kaspar Häuser Meeres zu ertrinken.

RESONANZEN
Auszug aus dem Radiobeitrag von NDR 1 Welle Nord vom 9. Oktober 2017
„Ein gelungener Drahtseilakt zwischen Lachen und Schaudern, der schon an vielen Bühnen ins Makabre abgedriftet ist. Mitreißendes Schauspiel vor einem rauschend schönen Bühnenbild.
Auszug aus der Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung vom 10. Oktober 2017
„(…) Kristin Trosits ist eine beklemmende, gleichwohl großartige Umsetzung des heiklen Themas gelungen. Ihre am Sonntag vom Premierenpublikum mit anhaltendem Applaus gewürdigte Inszenierung im Studio des Kieler Schauspielhauses tappt nicht in die Falle, den sorgfältig getakteten Tonfallfall des Stückes durch komische Überzeichnungen zu verzerren. Die Schreibtische der drei Frauen hat Ausstatten Nina Sievers durch gewaltige Räder ersetzt, die mit sichtbarem körperlichen Einsatz in Gang gesetzt, endlose Stapel von Papier ausspucken. Hier rotieren die Protagonistinnen buchstäblich wie Hamster im Rad, beten Standarddialoge ihres Berufsalltags im Chor herunter, verheddern sich in individuellen Gedankenschleifen oder bleiben in den Fetzen nicht zu Ende gesprochener Sätze hängen. Zwischen der leidigen Pflicht zur Dokumentation und den dringend notwendigen Hausbesuchen, zwischen feindseligen Müttern („Ich hab doch gar nichts gemacht, ey!“) und vernachlässigten, misshandelten Kindern rollen, falten und beschriften sie die Papierfluten, die irgendwann die ganze Bühne füllen. In dieser kafkaesken Szenerie machen die drei glänzenden Darstellerinnen das Dilemma der unterschiedlich gezeichneten Frauentypen mit Händen greifbar. Während Barbara (Ellen Dorn) sich durch die Zahl der Dienstjahre vordergründig ein etwas dickeres Fell zugelegt zu haben scheint, sucht Silvia (Claudia Friebel) die latente Überforderung mit Alkohol zu betäuben. Wenn die ihre Selbstmordfantasien hellverstärkt in den Zuschauerraum schickt, ist der Eindruck von Verlorenheit beinahe unerträglich. Anika (Pina Bergemann) schafft den Spagat zwischen Job und Familie nicht und als sie sich schließlich selbst im Fadenkreuz besorgter Erzieherinnen sieht, ist ihre hilflose Empörung kaum vom Gepöbel ihrer Klientinnen zu unterscheiden. Wie Sisyphos rollen die drei ihr Rad auf den Berg der Bürokratie – endlos, ohne die Chance auf ein glückliches Ende. Ein fesselnder Theaterabend, an dessen Ende man tief durchatmen muss.“
Auszug aus hansen & munk – der kultur.blog für kiel und mehr vom 9. Oktober 2017
„Kiel. Am Anfang, wenn sich die Bühnennebel im Studio des Kieler Schauspielhauses allmählich lichten, sieht alles noch recht leichtgängig aus: Drei Frauen nähern sich dem Publikum mit lockeren Grußbotschaften über die Rampe hinweg. Eher beiläufig befassen sie sich mit den Geräten, die auf einer Stufenlandschaft stehen. Nach und nach erst entwickelt sich aus ihrer heiter anmutenden Tätigkeit ernsthafte Pflicht. Aus Spiel wird Stress. Und aus den formalisierten Texten von Felicia Zeller schält sich immer deutlicher ein brisantes Thema heraus: In „Kaspar Häuser Meer“ geht es um soziale Verelendung, um Kindesvernachlässigung, um Familienfürsorge, um Schutz vor Misshandlungen. Und vor allem um die Folgen, die jene damit verbundenen Aufgaben bei den Mitarbeitern der Behörden anrichten. (…) Der reale Hintergrund von verwahrlosten Wohnungen, gewaltbereiten Vätern, überforderten Müttern und gefährdetem Kindeswohl bildet nur die Folie für eine Textübung, an der sich die Darstellerinnen abarbeiten: abgebrochene Sätze, herausgehobene Zitate, chorisch arrangierte Passagen, sprudelnde Wortkaskaden, bedeutungsvolle Anspielungen. (…) Felicia Zeller spickt ihren der Realität abgelauschten, aber hoch artifiziell verdichteten Text mit strikten Spielvorgaben, denen jedoch die junge Kiele Regisseurin Kristin Trosits weitgehend ihren Gehorsam verweigert. Sie schlägt sich lieber eigene und eigenwillige Schneisen durch das Dickicht der Vorlage und findet ihre persönlich geprägte, gleichwohl strenge Ordnung. Vor allem aber schafft sie zusammen mit ihrer Ausstatterin Nina Sievers einen äußerst reizvoll bespielbaren Bühnenraum. Am einfachsten könnte man ihn ein Räderwerk nennen. Denn die drei Akteurinnen bewegen sich in einer Art Werkstatt, deren Instrumetarium ein Fülle von Assoziationen auslösen könnte: Von Hamsterrad über Glücksscheibe bis zu „unter die Räder kommen“ oder „am großen Rad drehen“. Und in der Ferne scheinen Bilder aus der Maschinenwelt von Chaplins „Modern Times“ auf. (…) Produziert wird dort allerdings vor allem Papier. Als ließe sich das menschliche Leben und seine sozialen Probleme auf Papier bannen. Zettel, Akten, Vermerke, Ordner, Berichte, Bilanzen, Anträge, Eingaben, Gutachten – alles Papier, auf dem Einzelschicksale verzeichnet sind und doch verschwinden. Denn in dieser Amtsstube, die sich allmählich in eine zwingende Versuchsanordnung verwandelt, arbeiten sich die Figuren an papiernen Bögen und Bahnen ab, verzetteln sich und gehen schließlich in Schwaden von Papier unter. Regisseurin Kristin Trosits hat so einen fabelhaften Ausdruck für die ins Sinnlose driftende, sich ewig drehende Mühle im bürokratischen Alltag gefunden. Wo Klienten, die Hilfsbedürftigen und Randexistenzen, als Individuen allmählich in der Flut der Vorkommnisse im Papiermüll untergehen, entfalten sich im Fortgang der theatralischen Übung immer konkreter die drei Protagonistinnen als greifbare Persönlichkeiten: Barbara (Ellen Dorn), die Erfahrene, erreicht das Ende ihres Durchhaltevermögens. Silvia (Claudia Friebel), die Eifrige, sucht den Anforderungen mit Hilfe von Alkohol standzuhalten. Anika (Pina Bergemann), die junge Mutter, gerät wegen ihrer kleinen Tochter selbst ins Visier der Obrigkeit. Im diszipliniert vorgeführten Spiel bewegen sich drei Frauen an den Rand des Nervenzusammenbruchs. Sie führen ein Team von Sozialarbeiterinnen vor, die in ihrem eigenen Tätigkeitsfeld selbst zu Opfern wird. Eine traurige Geschichte. Doch Kristin Trosits erzählt sie bis zum bitteren Ende mit lapidarer Distanz. Viel Beifall.
Auszug aus den Kieler Nachrichten vom 10. Oktober 2017
„(…) Kristin Trosits setzt sie in einer kafkaesk absurden Landschaft (Ausstattung: Nina Sievers) aus Endlospapier und Lostrommeln aus. In praktischen Turnschuhen und adretten Overalls allzeit bereit wie Hamster im Lauf- oder die Assistentin beim Glücksrad. Silvia (Claudia Friebel) eine vibrierende Arbeitsbiene. Barbara (Ellen Dorn) eine Malocherin und Muttertier, die vom Fernurlaub im Himalaya träumt und nach 20 Jahren weniger abgeklärt ist, als sie es gern wäre. Und Anika, der Neuzugang, den Pina Bergemann, von 2011 bis 2013 Ensemble-Mitglied in Kiel, zwischen Anspruch und Alltag rotieren lässt.Lustvoll tauchen die Schauspielerinnen in Zellers rasanten Textstrom. Sie reden und räsonnieren, zweifeln und zagen, rattern und Sätzen hinterher hasten. Kristin Trosits zeigt sie als Team der Einzelkämpferinnen zwischen Problemstück und Büro-Soap. Das schnurrt stets am Rande des Nervenzusammenbruchs locker ab, und man muss schon genau hinhören, um unter den voranpreschenden Sätzen den Sarkasmus und die Trauer zu erlauschen. (…)“  

TERMINE
PREMIERE 08. Oktober 2017 WEITERE VORSTELLUNGEN 13. & 22. Oktober; 02. & 11. November; 06. 09. & 16. Dezember 2017; 07. 28. & 31. Januar 2018